
Folge 4 – die Frauen im Mittelpunkt der Diskussion!
Altersvorsorge 2020, die umfassende Reform des Schweizer Sozialversicherungssystems
Als Fortsetzung unserer Artikelserie zum umfassenden Reformprojekt «Altersvorsorge 2020» präsentieren wir Ihnen heute:
Folge 4 – die Frauen im Mittelpunkt der Diskussion!
Nach einem langen und von emotionalen und spannungsreichen Debatten geprägten parlamentarischen Marathon konnte schliesslich ein Kompromiss für die Reform unseres Altersvorsorgesystems gefunden werden. Nun kann sich jeder mit den in der endgültigen Vorlage enthaltenen Massnahmen auseinandersetzen, um sich eine fundierte Meinung für die Volksabstimmungen vom 24. September zu bilden. Und obwohl wir alle von der Reform betroffen sind, wird eine knappe Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ganz besonders betroffen sein: die Frauen!
Eines der wichtigsten Elemente der Reform «Altersvorsorge 2020» ist nämlich die Anhebung des ordentlichen Rentenalters der Frauen in der AHV und der beruflichen Vorsorge auf 65 Jahre. Zu sagen, dass es sich dabei um einen kontroversen Vorschlag handelt, wäre wohl eine Untertreibung. Die Debatte verläuft hitzig, und innerhalb derselben politischen Strömungen und Wirtschafts-, Arbeitgeber- und Gewerkschaftsmilieus werden konträre Positionen vertreten. Selbst die verschiedenen Frauenorganisationen scheinen sich nicht einigen zu können! Um was geht es also, und wie ist der Stand der Dinge? Wir möchten den schwierigen Versuch wagen, die wichtigsten positiven und negativen Auswirkungen der Reform für die Frauen klar und objektiv zu erläutern.
Die Harmonisierung des Rentenalters auf 65 Jahre ...
Die Reform sieht also vor, im Falle der Annahme durch das Stimmvolk das Rentenalter der Frauen um ein Jahr anzuheben. Die Erhöhung erfolgt ab dem Inkrafttreten der Reform im Jahr 2018 stufenweise um drei Monate jährlich, womit es ab 2021 nur noch ein harmonisiertes ordentliches Rentenalter für Männer und Frauen geben wird. Damit wird selbstverständlich das Ziel verfolgt, über die Erhöhung des durchschnittlichen Rentenalters und die längere individuelle Beitragszahlungsdauer zur nachhaltigen Finanzierung der 1. und 2. Säule beizutragen. Eine unausweichliche Folge dieser Massnahme für die berufliche Vorsorge ist, dass die Beiträge ein Jahr länger in die Pensionskasse eingezahlt werden und die Frauen eine höhere Altersrente beziehen (laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen wird sich die Erhöhung für den obligatorischen Teil zwischen vier und fünf Prozent bewegen). Und aufgrund des höheren Alterskapitals werden auch die Hinterlassenenrenten um denselben Prozentsatz ansteigen.
... eine inakzeptable Massnahme für die Frauen ...
Kritisiert wird die Massnahme hauptsächlich von den Gewerkschaften und den Frauenorganisationen, die das Projekt für ungerecht den Frauen gegenüber halten und die Meinung vertreten, die Erhöhung des Rentenalters müsse mit Lohngleichheit einhergehen. Wenn keine konkreten Schritte zur Verwirklichung dieses Ziels ergriffen würden, seien die Frauen durch die Reform am stärksten benachteiligt. Laut den Kritikern sind die Zahlen aussagekräftig: Im privatwirtschaftlichen Sektor verdienen die Frauen im Durchschnitt 19,5 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, im öffentlichen Sektor 16,5 Prozent; und nur ein Teil dieser Abweichungen sind durch strukturelle Faktoren wie das Ausbildungsniveau, die Anzahl der absolvierten Dienstjahre oder die beim Arbeitgeber ausgeübte Funktion (Führungs- oder sonstige Position) zu erklären. Die ungleichen Löhne führen ferner zu deutlichen Unterschieden beim Beitragsniveau der Frauen und damit bei ihren Renten.
In diesem Kontext haben mehrere Gewerkschaften angekündigt, ein Referendum ergreifen zu wollen. Sie vertreten die Meinung, obwohl die Reform aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung ohnehin dem Volk zur Abstimmung vorgelegt wird, sei ein Referendum notwendig, um Klarheit in die Debatte zu bringen und zu gewährleisten, dass sich diese tatsächlich mit der Erhöhung des Rentenalters (und der Senkung des Umwandlungssatzes) beschäftigt und sich somit nicht auf die technischen und finanziellen Fragen der Abstimmung über die Mehrwertsteuer beschränkt. Wenn dieses Referendum erfolgreich ist, gäbe es am 24. September 2017 zwei parallele Volksabstimmungen, und wenn eine davon nicht angenommen würde, wäre die gesamte Reform gescheitert.
... oder ein Vorschlag, der wichtige Fortschritte möglich macht?
Die überwiegende Mehrheit der Reformbefürworter erkennt an, dass die Erhöhung des Rentenalters der Frauen für diese zweifellos eine grosse Anstrengung bedeutet. Gleichzeitig müsse aber die Tatsache hervorgehoben werden, dass die Vorlage auch eine Reihe grösserer Fortschritte für alle Personen brächte, die in Teilzeit oder Niedriglohnsektoren beschäftigt sind. Dasselbe gelte für Personen mit einer schwachen oder fehlenden zweiten Säule. Wie allgemein bekannt ist, sind die Frauen in diesen Kategorien übervertreten, weil sich ihre Berufslaufbahn häufig von der der Männer unterscheidet. In der Tat sind es meistens die Frauen, die ihre Karriere unterbrechen oder Teilzeit arbeiten, um sich der Erziehung der Kinder zu widmen.
Die Erhöhung aller neuen AHV-Renten um 70 Franken pro Monat wäre mit Fug und Recht als Massnahme zu nennen, die den in Teilzeit und in Niedriglohnsektoren beschäftigten Personen zugutekommt. Dieser Vorschlag wird die Altersvorsorge ganz besonders für Personen verbessern, die vollständig oder zu einem grossen Teil von der 1. Säule abhängen, wie es vor allem bei den Frauen der Fall ist. Da ausserdem der Kürzungssatz bei Vorbezug der AHV-Renten relativ deutlich gesenkt wird, ermöglicht es der Zuschlag von 70 Franken knapp der Hälfte der Frauen, ohne Renteneinbussen weiterhin mit 64 Jahren in Rente zu gehen. Weiterhin hat die Anhebung der Obergrenze für Ehepaare von 150 Prozent auf 155 Prozent der Maximalrente zur Folge, dass ein grösserer Teil der AHV-Beiträge der Frauen künftig an ihre Renten fliesst.
Bei der beruflichen Vorsorge sieht die Reform natürlich eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 Prozent auf 6 Prozent vor. Aber auch hier sind Massnahmen vorgesehen, die sich positiv auf in Teilzeit und in Niedriglohnsektoren beschäftigte Personen auswirken. Zu den wichtigsten zählen der Koordinationsabzug (d. h. der Betrag, der zur Ermittlung des versicherten BVG-Lohns vom Bruttogehalt abgezogen wird). Dieser und der versicherte Mindestlohn werden gesenkt. Da diese Anpassungen zur Erhöhung des versicherten Lohns von einkommensschwachen Personen führt, werden diese bei der Altersvorsorge und der Versicherungsdeckung besser geschützt.
Ist das Glas, vor dem die Frauen sitzen, nun also halb voll oder halb leer? Sollte die Vorlage der Harmonisierung des Rentenalters abgelehnt werden, oder ist es sinnvoll, es anzunehmen, um von den durch die Reform möglichen Fortschritten zu profitieren? Dies dürfte bis zum 24. September zweifelsohne eine der am meisten diskutierten Fragen sein. Das Ergebnis der Volksabstimmung mag ungewiss sein, doch eines ist bereits jetzt sicher: Die Frauen werden im Mittelpunkt der Diskussion stehen!
Vorprogrammierter Konflikt
Die Ankündigung eines Referendums der Linken gegen die Erhöhung des Rentenalters der Frauen ist ein weiteres Element der bereits von einem grossen Teil der Rechten und der Arbeitgeber formulierten Kritik, die ebenfalls auf eine Ablehnung der Vorlage abzielt, allerdings aus einem anderen Grund: Die Rechten und die Arbeitgeber lehnen den Zuschlag von 70 Franken auf alle neuen AHV-Renten vehement ab, der als Ausgleich für die Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule gedacht ist.
Zwar wurde im letzten Moment in den beiden Kammern ein Kompromiss gefunden, aber die Diskussionen haben gerade erst begonnen, und im Hinblick auf die Volksabstimmungen am 24. September 2017 scheint die Konfrontation vorprogrammiert! Die Erhöhung des Rentenalters für die Frauen ist nicht das geringste der sensiblen Themen, die die Vorlage zum Kippen bringen könnten. Diese Frage stand bereits bei der 11. AHV-Revision, die 2004 vom Volk und erneut 2010 vom Parlament abgelehnt worden war, im Mittelpunkt der Diskussion. Wie wird es diesmal ausgehen?
Wie immer freuen wir uns auf Ihr Feedback, Ihre Vorschläge oder Fragen an News.FondationFCT@trianon.ch und machen Ihnen jetzt schon den fünften Teil unserer Artikelserie zum Thema Altersvorsorge 2020 schmackhaft, bei der es detaillierter um die weiteren Massnahmen zur Reform der Altersvorsorge gehen wird.