
Folge 5 – Senkung des Umwandlungssatzes bei gleichbleibendem Rentenniveau: eine Herausforderung für die berufliche Vorsorge!
Altersvorsorge 2020, die umfassende Reform des Schweizer Sozialversicherungssystems
Als Fortsetzung unserer Artikelserie zum umfassenden Reformprojekt «Altersvorsorge 2020» präsentieren wir Ihnen heute:
Folge 5 – Senkung des Umwandlungssatzes bei gleichbleibendem Rentenniveau: eine Herausforderung für die berufliche Vorsorge!
Senkung des Mindestumwandlungssatzes ja, aber ...
Eine Hauptmassnahme der Altersvorsorge 2020 ist es, den Mindestumwandlungssatz zu senken. Der Umwandlungssatz dient bekanntlich dazu, das im Pensionsalter zur Verfügung stehende Kapital in eine Rente umzuwandeln. Das Projekt sieht vor, den Mindestumwandlungssatz schrittweise um jährlich 0,2 Prozentpunkte von 6,8 % auf 6 % zu senken. Die erste Anpassung würde ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, also 2019, erfolgen. Konkret heisst dies, dass die Jahresrente pro 100 000 Franken angespartes Kapital von 6800 auf 6000 Franken sinkt. Es handelt sich also um eine beträchtliche Differenz, allerdings darf dabei nicht vergessen werden, dass der Mindestumwandlungssatz lediglich den obligatorischen Teil der Altersvorsorge betrifft (bis zu 84 600 Franken). Die Pensionskassen können hingegen weiterhin frei entscheiden, ob sie für den überobligatorischen Teil je nach ihrer finanziellen Situation einen anderen Satz anwenden möchten. Andererseits betrifft die Senkung nur die neu ausbezahlten Renten, die laufenden werden davon nicht tangiert.
Die stete Veränderung der demografischen und wirtschaftlichen Parameter macht eine Anpassung des Mindestumwandlungssatzes notwendig. Die Pensionskassen sehen sich der steigenden Lebenserwartung und den schwachen Erträgen auf dem Finanzmarkt gegenüber konfrontiert, trotzdem müssen sie alles daransetzen, die Renten zu sichern und entsprechend auszahlen zu können. Nur durch eine Senkung der neuen Renten können sie ihre finanzielle Lage momentan aufrechterhalten und die Existenz zukünftiger Generationen sichern. Und das funktioniert nur über eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes.
Es handelt sich dabei jedoch um ein sehr heikles Thema. Es sei nur daran erinnert, wie 2010 die Vorlage zu einer Senkung auf 6,4 % von mehr als zwei Drittel des Stimmvolkes abgelehnt wurde! Die von der Altersvorsorge 2020 vorgeschlagene Senkung ist jedoch noch gravierender und diese Massnahme allein könnte die ganze Vorlage zum Scheitern bringen. Zusammen mit der Anhebung des Rentenalters für Frauen ist sie übrigens eines der Hauptthemen diese Reformprojekts, die gewisse Vertreter der Linken und der Gewerkschaften dazu veranlassten, unter dem Motto «NEIN zur Erhöhung des Rentenalters – NEIN zur Senkung der Renten» das Referendum dagegen zu ergreifen.
… mit relevanten Ausgleichs- und Verbesserungsmassnahmen
Im Unterschied zur vorgeschlagenen Senkung im Jahre 2010 bindet die Altersvorsorge 2020 die Senkung des Mindestumwandlungssatzes allerdings in eine viel grössere, umfassende Reform ein. Bei den ersten beiden Säulen unserer Altersvorsorge sind verschiedene Ausgleichsmassnahmen vorgesehen mit dem Ziel, das Niveau der BVG-Renten zu erhalten. Damit soll verhindert werden, dass die Renten proportional zum Mindestumwandlungssatz sinken, d. h. um 12 %. Bei der AHV werden alle neu ausbezahlten Monatsrenten um 70 Franken angehoben (eine umstrittene Massnahme, die wir bereits im vorhergehenden Artikel behandelt haben). Ausserdem wird die Obergrenze für Ehepaare von 150 auf 155 % der maximalen Altersrente erhöht. Im Bereich der beruflichen Vorsorge sind mehrere weitere Ausgleichsmassnahmen vorgesehen, von denen wir hier die wichtigsten erläutern:
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Der Koordinationsabzug (d. h. der bereits durch die erste Säule gedeckte Betrag, der vom Bruttolohn abgezogen wird, um den versicherten BVG-Lohn zu ermitteln) wird gesenkt und kann variieren:
Jährlicher Abzug | Altersvorsorge 2020 |
Fixbetrag von 24'675 Franken (7/8 der max. AHV-Rente) | Zwischen 14'100 und 21'150 Franken (40 % des Jahreslohns, aber mindestens die min. AHV-Rente und höchstens 3/4 der max. AHV-Rente) |
Diese Änderung bewirkt eine Anhebung des versicherten Lohnanteils mit der Folge, dass sich das Altersguthaben erhöht und die Leistungen somit verbessert werden;
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Die Altersgutschriftensätze steigen:
Altersgruppen | Aktueller Gutschriftensatz | Altersvorsorge 2020 |
25–34 Jahre 35–44 Jahre 45–54 Jahre 55–65 Jahre | 7 % 10 % 15 % 18 % | 7 % (unverändert) 11 % (+ 1 %) 16 % (+ 1%) 18 % (unverändert) |
Auf diese Weise wird auch der versicherte Lohnanteil erhöht;
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Bis die zwei oben genannten Ausgleichsmassnahmen greifen, braucht es Zeit. Daher sieht das Reformprojekt auch eine besondere Massnahme für all jene Personen vor, die im Laufe der nächsten Jahre in Rente gehen. Es handelt sich um die so genannte «Übergangsgeneration», also alle Personen, die am 1. Januar 2019 45 Jahre oder mehr zählen. Diesen werden ihre erworbenen Ansprüche folgendermassen gewährleistet: Die Pensionskassen zahlen ihnen die Renten nach dem neuen System aus, aber der BVG-Sicherheitsfonds schliesst die Leistungsdifferenz falls erforderlich.
Das Reformprojekt sieht ausserdem eine Reihe Verbesserungsmassnahmen vor, wobei die eine Massnahme für über 58-jährige Erwerbslose von Bedeutung ist. Erwerbslose, die heute das Rentenalter erreichen, haben keinen Anspruch auf eine Rente der zweiten Säule, denn ihr Guthaben in einer Freizügigkeitseinrichtung kann im Allgemeinen nur als Kapital ausbezahlt werden. Mit der Reform können sie in einer Vorsorgeeinrichtung verbleiben und haben dieselben Rechte wie die anderen Versicherten (Anspruch auf eine Rente, Möglichkeit der Beitragszahlung, Kapitalbewirtschaftung durch die Pensionskasse etc.).
Abschliessend kann man sagen, dass die Senkung des Mindestumwandlungssatzes ein umstrittenes und unbeliebtes Thema bleibt. Und die durch die Altersvorsorge 2020 vorgesehene Senkung geht noch viel weiter als jene, die 2010 wuchtig verworfen wurde. Aber genau wie die Anhebung des Rentenalters für Frauen darf diese Massnahme nicht isoliert betrachtet werden. Sie muss in der Gesamtheit der Reform analysiert werden, und zwar unter Berücksichtigung der relevanten Ausgleichs- und Verbesserungsmassnahmen, die damit einhergehen.
Ist eine Senkung auf 6 % übertrieben oder ist sie im Gegenteil unzureichend?
Gemäss einer Schätzung im Rahmen einer von Credit Suisse kürzlich durchgeführten Studie mit 200 Pensionskassen wurden im Jahre 2015 über 5 Milliarden an Personen im Ruhestand ausbezahlte Renten von Guthaben aktiver Versicherter finanziert (gegenüber 3,5 Milliarden im Jahre 2010). Weil dieses Phänomen fortdauert und sich noch verschärft, wird es bisweilen als Zeichen dafür angesehen, dass sich unser System der beruflichen Vorsorge in einer Schieflage befindet. Denn es ist grundsätzlich Sache jedes einzelnen Versicherten, während seines erwerbsfähigen Alters das benötigte Kapital für jene Leistungen aufzubauen, auf die er in seinem Ruhestand Anspruch hat.
In Hinblick auf diese Zweifel und Unsicherheiten ist es nicht verwunderlich, dass die grosse Mehrheit der in dieser Studie befragten Pensionskassen die Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf 6 % befürworten. Eine beträchtliche Anzahl der Kassen schätzt ausserdem sogar, dass das Projekt Altersvorsorge 2020 in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen zu wenig weit geht und der Mindestumwandlungssatz auf unter 6 % gesenkt werden müsste.
Betrachtet man das Ergebnis dieser Umfrage in Bezug auf das klare Nein des Schweizer Volkes zu einer Senkung auf 6,4 % im Jahre 2010, kann sich jeder die tiefe Kluft zwischen Befürwortern und Gegnern vorstellen, welche die von der Altersvorsorge 2020 vorgesehene Senkung des Mindestumwandlungssatzes reisst.