Steter Tropfen höhlt den Stein

Nach der Ablehnung des Reformprojekts „Altersvorsorge 2020“ bei der Volksabstimmung vom vergangenen September läuft das finanzielle Gleichgewicht unseres Altersvorsorgesystems weiterhin und wenig überraschend Gefahr, von der harten Realität ins Wanken gebracht zu werden. Denn ohne eine Reform sieht es für unsere Renten nicht gut aus.

Aus dieser Überzeugung heraus hat der Bundesrat schon Ende 2017 die generelle Ausrichtung der nächsten Rentenreform festgelegt. Diesmal wird die Idee eines umfassenden Massnahmenpakets für die zwei Säulen der Altersvorsorge zugunsten zweier voneinander getrennter Projekte aufgegeben. Doch das Hauptziel bleibt gleich: Beibehaltung des Rentenniveaus und mittelfristige Sicherstellung der Finanzierung der Altersvorsorge. Mit der AHV als vorrangigem Anliegen hat der Bundesrat am 2. März 2018 die Eckwerte der nächsten Reform der ersten Säule bestimmt. Auf diese Weise soll die finanzielle Stabilität der ersten Säule über zwölf Jahre garantiert sein. Folgende Hauptmassnahmen sind vorgesehen:

  • Einführung eines Referenzalters von 65 Jahren in der AHV gleichermassen für Frauen und Männer. Das Rentenalter der Frauen wird ab dem Jahr nach Inkrafttreten der Reform schrittweise über vier Jahre um jeweils drei Monate pro Jahr angehoben.

  • Für die Erhöhung des Frauenrentenalters sind Ausgleichsmassnahmen vorgesehen, beispielsweise Regelungen zur Abmilderung der Rentenkürzung von Frauen, die vor dem 65. Altersjahr in den Ruhestand gehen, oder Ausgleichszahlungen für Frauen mit niedrigem Einkommen während ihrer Erwerbstätigkeit oder mit Beitragslücken. Die Finanzierung dieser Massnahmen soll über drei Optionen erreicht werden, deren Grössenordnung noch festzulegen bleibt: durch Arbeitnehmerbeiträge, Mehrwertsteuereinnahmen oder eine Kombination aus beidem.

  • Flexibilisierung der Rente: Zwischen 62 und 70 Jahren soll es möglich sein, die ganze AHV-Rente oder eine Teilrente zu beziehen oder aber einen Teil der Rente zur beruflichen Vorsorge aufzuschieben.

  • Förderung der Weiterarbeit: Kleinere Einkommen sollen weiterhin beitragsbefreit sein (monatlicher Freibetrag von 1‘400 Franken), die nach dem 65. Altersjahr gezahlten Beiträge erhöhen die AHV-Rente und sollen es ermöglichen, Beitragslücken zu schliessen.

  • Last but not least: Zur Finanzierung stützt sich das Reformvorhaben im Wesentlichen auf eine deutliche Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1,7 %. Der Mehrwertsteuersatz würde sich damit auf einen Schlag auf 9,4 % ab Inkrafttreten der Reform erhöhen.

 

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Reform der Altersvorsorge nach der Ablehnung der Reform „Altersvorsorge 2020“ noch dringender und notwendiger geworden ist. Er wünscht ein schnelles Vorgehen und strebt an, dass die neue Regelung per 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Hierzu hat er das Eidgenössische Departement des Innern beauftragt, bis zur Sommerpause einen Vorentwurf für die Vernehmlassung zu liefern. Dem Parlament soll bis Ende 2018, d. h. in etwa 15 Monate nach der Volksabstimmung vom vergangenen September, ein entsprechender Gesetzentwurf unterbreitet werden. Wie zu erwarten war, trifft das Vorhaben bereits jetzt auf zahlreiche Widerstände von allen Seiten.

Die Arbeitgeberverbände erklärten beispielsweise bereits, dass es nicht in Frage komme, eine so massive Mehrwertsteuererhöhung zu akzeptieren. Sie betonen, dass die Erhöhung deutlich höher sei als die im Vorhaben Altersvorsorge 2020 geplante Erhöhung (0,6 % in zwei Schritten von jeweils 0,3 %) und diese unpopuläre Anhebung eine schwere Belastung der Bürgerinnen und Bürger darstelle.

Die Gewerkschaften beabsichtigen, nicht auf die Anhebung des Rentenalters der Frauen einzutreten, solange die Lohndiskriminierung von Frauen gegenüber Männern fortbestehe. Das Parlament hat allerdings erst kürzlich eine Gesetzesvorlage zur Gleichstellung an die Kommission zurückverwiesen, der von den Gewerkschaften als wenig verbindlich beurteilt wurde, wohingegen der Grundsatz „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ doch seit 37 Jahren in der Bundesverfassung verankert sei. Darüber hinaus weisen die Gewerkschaften darauf hin, dass die bestehenden Ungleichheiten Frauen nicht nur in ihrem aktiven Erwerbsleben benachteiligten, sondern sich auch beim Rentenniveau fortsetzten.

Es sei erwähnt, dass hinsichtlich des Terminplans für die Beratungen zur beruflichen Vorsorge noch keinerlei Festlegungen getroffen wurden und dass der Bundesrat die Vorschläge der Sozialpartner bis zum Sommer erwartet.


Diskriminierung verheirateter Paare bei der AHV-Rente?

Während die Finanzierung der AHV in einer neuen Reformvorlage geregelt werden soll, hat der Nationalrat kürzlich eine insbesondere auch von der SVP unterstützte Motion der CVP-Fraktion angenommen. Ziel der Motion ist es, die Benachteiligung verheirateter Paare in der ersten Säule der AHV zu beseitigen. Für die Initiatoren der Motion ist es nämlich ungerecht, dass zwei unverheiratet zusammenlebende Personen bis zu 4‘700 Franken AHV-Rente monatlich beziehen können, während verheiratete oder in Partnerschaft lebende Paare lediglich höchstens 150 % einer Maximalrente, d. h. monatlich 3‘525 Franken, erhalten.

Das Thema ist alles andere als neu und war eine der Forderungen der Volksinitiative „Für Ehe und Familie - gegen die Heiratsstrafe“, die im Februar 2016 vom Volk abgelehnt wurde. Auch das gescheiterte Reformprojekt Altersvorsorge 2020 sah eine Erhöhung der Plafonierung von 150 % auf 155 % vor.

Doch die genannte Motion hat ebenfalls zahlreiche Gegner. Diese führen ins Feld, dass man sich nicht nur auf die Plafonierung der Rente fokussieren solle, sondern die Gesamtheit der Schutzmechanismen berücksichtigen müsse, um auf eine eventuelle Diskriminierung schliessen zu können. Zudem würde eine Aufhebung der Plafonierung bei verheirateten Paaren und Paaren in eingetragener Partnerschaft hauptsächlich diejenigen begünstigen, die die Grenze von 150 % einer einfachen Maximalrente erreichten, und dies seien solche, die im Allgemeinen ohnehin schon bei der Rente bessergestellt seien.

Gesundheits- und Sozialminister Alain Berset unterstrich schliesslich, dass die Aufhebung der Plafonierung 2,6 Mrd. Franken koste und die Probleme der Finanzierung der ersten Säule weiter verschärfe.